Bericht über den Tag vor dem TagX
Vor dem Tag X 2: Kundgebung am Dienstag, den 10. Juli 2018, in Köln auf dem Wallrafplatz
NSU: 10 MORDE, 3 BOMBENANSCHLÄGE
AUFKLÄRUNG VERWEIGERT. AKTEN VERNICHTET.
WIE VIEL STAAT STECKT IM NSU?
Drei riesige, blutrote Pappschilder mit schwarzen Großbuchstaben.
Jedes für sich eine Anklage. Die Schilder liegen auf dem Wallrafplatz, wo die meisten Touristen vorbeikommen. Was sich in Augenhöhe befindet, nimmt man in der Kölner Fußgängerzone kaum noch wahr, vor allem an einem nasskalten, windigen Tag wie diesem. Aber Rot auf dem Gehweg – viele bleiben stehen, lesen und hören eine Weile zu.
Die Initiative „Keupstraße ist überall“ gedachte am Nachmittag vor der Urteilsverkündung im NSU-Prozess zunächst der zehn Mordopfer. Bei der Verlesung ihrer Namen und Todesumstände war es an diesem belebten Platz sehr still. Einige der unzähligen, im Prozess nicht berücksichtigten Fragen lasen wir vor, z.B.: „Wie wurden die Opfer und die Tatorte ausgewählt? Warum gerade mein Sohn, mein Mann, mein Bruder, mein Cousin, mein Freund?“ – „Wie konnte es dazu kommen, dass die Opfer von der deutschen Polizei als Täter, als Kriminelle behandelt, diskriminiert und in ihrer Ehre verletzt wurden? Warum wurde gegen uns Opfer ermittelt?“ – „Warum zählt die Immunität des Verfassungsschutzes mehr als die Aufklärung von Morden?“ – „Ist der Schutz der V-Leute wichtiger als der Schutz der Bürger*innen vor Mordanschlägen und Rassismus?“
Zwischen kurzen Redebeiträgen zur deutschen Erinnerungskultur, fiktiven Dialogen und Auszügen aus dem Buch „Die haben gedacht, wir waren das“ über die dröhnende Stille der „Mehrheitsgesellschaft“ begleitete uns ein junger türkisch-kurdischer Musiker mit Gesang und Akustikgitarre. Viele Umstehende nahmen Aufrufe zum Crowdfunding für die Porträts der Mordopfer mit, die von einer Kölner Künstlerin einfühlsam gestaltet worden sind. Sie sollen den Familien der Toten geschenkt werden.
Presse und Medien waren nachmittags am Wallrafplatz ebenso zugegen wie am späten Abend in der Kölner Keupstraße. Dort verabschiedeten wir gegen 23 Uhr den Bus, mit dem sich viele aus Köln und dem Umland auf den Weg zur Großveranstaltung „Kein Schlussstrich!“ in München machten. In einem Interview hat ein Überlebender aus der Keupstraße für den Tag der Urteilsverkündung und für unsere weitere Arbeit die richtigen Worte gefunden: Das „Gericht wird das Verfahren abschließen. Es wird beendet werden. Aber es wird nicht beendet sein. Wir werden nicht locker lassen. Auch wenn es viele Jahre dauern sollte, werden wir dieses Thema nicht ruhen lassen. Aber gemeinsam. Als Gemeinschaft, alle zusammen meine ich. Das Wichtige ist, dass wir uns verbinden und uns gemeinsam dafür einsetzen, dass das Thema nicht mit diesem Urteil beendet wird. Das Gericht mag es für beendet erklären, wir aber werden dies nicht tun.“
Bericht eines Mitglieds der Kölner Initiative „Keupstrasse ist überall“