5.12.2015: Theater-Gastspiel – Schmerzliche Heimat (Semiya Şimşek) @ KAW, Leverkusen
Ein Blumenstand an einem Autobahnzubringer bei Nürnberg, es ist der 9. September 2000, ein Samstag. Enver Şimşek hat aushilfsweise für einen Bekannten an diesem Wochenende den Straßenverkauf übernommen. Der Blumengroßhändler kehrt noch einmal zurück zu seinen Anfängen. Schon bald will er sich ganz aus diesem Geschäft zurückziehen und sich seiner Familie widmen. Seinen Großhandel hat er verkauft, er freut sich auf einen neuen Lebensabschnitt, auf den Lohn jahrelanger Arbeit.
Als er zwischen 12:45 und 14:15 Uhr aus seinem Wagen etwas holen will, treten zwei Männer auf ihn zu und feuern neun Schüsse auf ihn ab. Enver Şimşek ist das erste Opfer des Terror-Netzwerks NSU.
300 km entfernt wird in dieser Nacht seine Tochter Semiya in ihrem Internat aus dem Bett geholt. Sie versteht nicht, warum sie ihre Sachen packen soll. Den Pass nicht vergessen? Mit ihrem Onkel fährt sie nach Nürnberg ins Krankenhaus. Noch bevor sie zu ihrem Vater kann, wird sie von der Polizei gefragt, ob er Waffen im Haus habe. Semiya ist zu durcheinander, um zu verstehen, was von ihr erwartet wird.
Nun erzählt sie. Vom Leben ihres Vaters. Bis zu seinem Tod. Und von ihrem Leben, dem ihrer Mutter, ihres Onkels in den Jahren danach. Jahre, die geprägt waren von Beschuldigungen, Verdächtigungen, Zerstörungen durch die Polizei, die Behörden, den Verfassungsschutz. All jene Institutionen, denen es nur darum ging, zu beweisen, dass die Familie in den Mord verwickelt war.
Die Geschichte einer Familie in Deutschland. Opfer einer terroristischen rechtsextremen Vereinigung, Opfer deutscher Behörden.
Was macht das mit einem Menschen? Mit einer Familie? Für Semiya Şimşek bedeutet das, an uns alle zu appellieren, nicht alles hinzunehmen, uns unserer Verantwortung für die Gesellschaft bewusst zu sein. Mitzugestalten, damit keine Familie etwas Vergleichbares erleben muss. Gemeinsam, nur das kann die Lösung sein.
Semiya Simsek, geb. 1986 verfasste zusammen mit dem Journalisten Peter Schwarz ihre Erinnerungen an das Leben ihres Vaters und die Jahre nach seinem Tod. Auf der Gedenkveranstaltung für die Opfer der NSU-Morde am 23. Februar 2012 im Berliner Konzerthaus hielt sie eine stark beachtete Rede. 2013 erhielt sie den nach der französischen Frauenrechtlerin und Schriftstellerin benannten Olympe de Gouges-Preis.
Das Westfälische Landestheater hat das Buch in einer Koproduktion mit dem Theater Hof als Bühnenstück adaptiert und gastiert für eine Aufführung im Kulturausbesserungswerk. Eine Veranstaltung des KAW in Kooperation mit der Initiative „Keupstraße ist überall“.
Gefördert vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen.
Einlass: 19.30h, Beginn: 20h | Eintritt: 10€/5€
Vorverkauf: http://bit.ly/simsek_KAW
Ort: Kulturausbesserungswerk (KAW), Autonomes Zentrum für Kultur und Politik,
Kolberger Str.95a, 51381 Leverkusen, www.kulturausbesserungswerk.de