reclaim and remember – Die Möllner Rede im Kölner Exil

Der rassistische Brandanschlag von Mölln 1992

Am 23.11.1992 wurde im Schleswig-Holsteinischen Mölln das Haus der Familie Arslan von Neonazis mittels Molotov-Cocktails angezündet. Die 10-jährige Yeliz Arslan, die 14-jährige Ayşe ­Yilmaz und die 51-jährige Bahide Arslan starben in den Flammen. Weitere Familienmitglieder wurden teilweise schwer verletzt. In der gleichen Nacht hatten die Täter bereits einen ­weiteren Brandanschlag auf ein Haus, in dem Menschen türkischer Herkunft wohnten, verübt, neun von ihnen erlitten schwere Verletzungen. Der rassistische Hintergrund der Tat war sofort offensichtlich, nicht zuletzt, weil die Täter mit Telefonanrufen bei der Feuerwehr auf die Brände aufmerksam machten und sich mit »Sieg Heil«-Rufen dazu bekannten. Dennoch geriet in den folgenden Ermittlungen erst einmal die betroffene Familie selbst in den Fokus und wurde mit Verdächtigungen konfrontiert. Ein Schema, dass in Fällen rassistischer Gewalt immer wieder zum Tragen kommt: die Opfer werden zu Tätern erklärt.

„Die Erinnerung zurück erkämpfen. Reclaim and remember. Jetzt erst recht“

Auch das Gedenken an die Opfer und die Auseinandersetzung um die rassistischen Taten bleibt umkämpft. Im offiziellen Gedenken wird den Betroffenen oftmals die Rolle stiller Statist*innen zugewiesen. »Die Gedenkfeiern wurden 18 Jahre lang so gemacht, wie die Stadt Mölln das wollte, wir waren Figuren am Rand« berichtet Ibrahim Arslan, der den Anschlag als Siebenjähriger überlebt hat. »Es wurden Reden gehalten, am Ende ein Satz zu den Arslans. Danke, Applaus, auf Wiedersehen. Der Bürgermeister von Mölln lädt Politiker anderer Städte, in denen Anschläge waren, ein, aber nicht regelmäßig alle Opfer.« Bestandteil der Gedenkveranstaltungen war seit 2009 immer auch die Möllner Rede, als kritische Bestandsaufnahme zum gesellschaftlichen Rassismus und Neofaschismus. Doch 2013 wurde die Möllner Rede aus den offiziellen Gedenkveranstaltungen gestrichen. Es passte der stets um ihren Ruf besorgten Stadt Mölln nicht in ihr Konzept, dass die Familie die Redner*innen selbst aussuchte. Seitdem lädt die Familie und der Freundeskreis im Gedenken an die rassistischen Brandanschläge in Mölln jährlich zur Möllner Rede im Exil ein.

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Die Möllner Rede im Kölner Exil

In diesem Jahr wird die Möllner Rede in Köln gehalten. Auch Köln war in seiner jüngeren Geschichte mehrfach Tatort von rassistischen Anschlägen. So verübte allein der NSU zwei Bombenattentate, die MigrantInnen töten und in ihrem Umfeld Angst und Schrecken verbreiten sollten. Nur durch glückliche Zufälle wurde durch die Detonationen in der Probsteigasse im Jahr 2001 und in der bekannten Geschäftsmeile Keupstraße 2004 niemand getötet, aber zahlreiche Menschen zum Teil schwer verletzt. Es gibt ein Band, das die Opfer der Anschläge von Mölln und Köln verbindet. Sie eint nicht nur die Erfahrung, mit rassistischem Terror konfrontiert zu sein und als Opfer zum Täter erklärt worden zu sein, sondern auch die Erfahrung von Solidarität. Mitglieder der Familie Arslan waren oftmals in der Keupstraße zu Gast und haben hier den Opfern Mut zugesprochen. Sie haben sie darin bestärkt gemeinsam ihre Geschichte zu erzählen und Forderungen zu stellen. So ist die Familie Arslan ein Teil der Geschichte dieser Straße geworden, an dem heute Rassismus unüberhörbar angeklagt wird. Die Möllner Rede findet in diesem Jahr zum sechsten Mal statt und wird zum vierten Mal im Exil gelesen. Redner*innen der letzten Jahre waren unter anderem die Journalistin Beate Klarsfeld und Argyris Sfountouris, Überlebender des SS-Massakers im griechischen Distomo 1944. Dieses Jahr wird die Rede von dem Schriftsteller und Menschenrechtler Doğan Akhanlı gelesen. In seinen Romanen und Aufsätzen, in Interviews und Projekten setzt Akhanlı sich immer wieder für den wahrhaftigen Umgang mit historischer Gewalt und für die Unteilbarkeit der Menschenrechte ein. Aktuell beschäftigt er sich u.a. mit der rassistischen Mord- und Anschlagserie des NSU.

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Die Möllner Rede im Exil. Es sprechen Doğan Akhanlı und Mitglieder der Familie Arslan
So 20. November 2016
Kartäuserkirche Köln, 16 Uhr

»Das Erkämpfen der Erinnerung ist ein Teil unseres Lebens« Ibrahim Arslan im Gespräch mit einer Betroffenen des NSU-Nagelbombenanschlags in der Keupstraße

Di 8. November 2016
NS-Dokumentationszentrum Köln, 19 Uhr
reclaim and remember — Das Konzert mit Mal Élevé (Irie Révoltés), Chaoze One, Esrap und Microphone Mafia
Sa 26. November
Café Sabahçı, Keupstraße 87, Köln, 20 Uhr Verlegt in: Kartäuserkirche, Kartäusergasse 7, Köln-Südstadt

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