Leserbrief zum Artikel auf Spiegel Online, 28.1.2015, „Wer die wahren Opfer sind“

Sehr geehrte Frau Friedrichsen,

schon in ihrer Schlagzeile geben Sie an zu wissen, wer die wahren Opfer sind“. Ihre Behauptung begründen Sie in Ihrem Kommentar mit der These, dass nur der/diejenige Anrecht auf ein juristisch korrektes Opferdasein habe, der/die körperlich, also sichtbar verletzt wurde. Sprich alle, die nicht sichtbar verletzt wurden, haben kein Anrecht auf einen Platz als NebenklägerInnen? Das ist schlichtweg zynisch.

Denn das hieße ja, dass nicht nur bei einem Bombenanschlag wie in der Keupstraße, bei dem es sich um versuchten Mord in mindestens 21 Fällen handelte, sondern auch in anderen Bereichen wie u.a. Geiselnahme, Vergewaltigung, Raubüberfall, Gewalt in der Ehe etc. die Opfer auch kein Recht auf juristische Vertretung als NebenklägerInnen hätten. Denn auch in diesen Fällen gibt es Opfer, die zwar keinen körperlichen Schaden erlitten haben, dafür aber schwer traumatisiert wurden.

Als Beweis für Ihre These benennen Sie den Fall einer der NebenklägerInnen, die eine Woche vorher (am 22.1.) als Zeugin geladen wurde. Wir zitieren aus Ihrem Kommentar: „sie plage sich „nur“ mit der Vorstellung, was ihr und ihrem Sohn hätte passieren können, hätten sie sich zur Tatzeit nicht in ihrer Wohnung in ersten Stock eines Hauses an der Keupstraße befunden.“ Und dieses „nur“ unterstreichen Sie dann noch mit einer Höhenangst, von der einer der geladenen Therapeuten der Nebenklägerin angibt, sie habe diese schon seit ihrer Kindheit gehabt.

Nur leider sind Sie damit, unserer Ansicht nach, noch nicht einmal Ihrer JournalistInnenpflicht einer gründlichen Recherche nachgekommen. Offensichtlich haben Sie weder mit der Betroffenen selbst noch mit ihren Therapeuten gesprochen. Und ebenso offensichtlich waren Sie am 29.1. auch nicht bei der Verhandlung. Denn sonst hätten Sie den aktuellen Therapeuten der Nebenklägerin zitieren können, der diese seit 2013 tatsächlich auch psychotherapeutisch behandelt. Aus seinem Gutachten wird deutlich, dass die Betroffene erst seit dem Nagelbomben-Anschlag unter Panikattacken leide. So überlegt dieser Therapeut sogar, seine Diagnose „Panikattacken“ in „posttraumatische Belastungsstörung“ zu ändern. Und dies sei in direktem Zusammenhang mit dem Anschlag zu sehen.

Seit ihrer Kindheit belasten die Betroffene Depressionen. Diese haben aber ganz andere Symptome, als die von der Zeugin geschilderte und vom Therapeuten bestätigte Panikattacken. Die von Ihnen aus den Aussagen vom 22.1. herausgepickte „Höhenangst“ war an beiden Verhandlungstagen lediglich ein Nebenaspekt. Und auch schon der Therapeut, der am 22.1. vernommen wurde, hat deutlich klar gemacht, dass er in solch kurzen Gesprächen, wie er sie mit der Betroffenen geführt habe, nicht auf den Kern des Problems komme könne. Das würde erst in einer richtigen Therapie passieren. Einer Therapie, die dieser aber nie mit ihr durchgeführt hat.

Wir geben Ihnen nur in einem Punkt Recht in Bezug auf manche (sic) AnwältInnen der Nebenklage, die nicht das Wohl der Betroffenen im Sinn haben und damit gerade auch deren Wunsch nach Aufklärung der Hintergründe der Taten des NSU und der Rolle der Ermittlungsbehörden nicht berücksichtigen. Diese Anwälte, stehen auch für uns – wie Sie es formulieren, im Verdacht „sich ihre Opfer „gebastelt“ zu haben“. Das Phänomen, dass es immer wieder Anwälte gibt, die sich ihren Mandanten auf Grund eines medial aufsehenden Prozesses, seiner Länge und den damit verbundenen langfristigen Verdienstmöglichkeiten aufdrängen, ist sowohl uns aus diesem Prozess wie auch Ihnen als langjährige Gerichtsreporterin nicht unbekannt.

Doch dieses Verhalten ausgerechnet in einem Atemzug mit dem Anwalt Alexander Hoffmann zu nennen, der die von Ihnen als „im Rechtsinne nie Geschädigte“ Nebenklägerin vertritt, ist einfach falsch. Gerade Rechtsanwalt Hoffmann gehört zu den AnwältInnen der Nebenklage, die immer wieder neue Beweisanträge zur Klärung der Hintergründe einreichen. Dennoch unterstellen Sie ihm und seiner Klientin, sowie pauschal ungenannten weiteren NebenklägerInnen, kein Recht auf Nebenklage in diesem Prozess zu haben:

„Und diese Frau ist nicht die Einzige unter den Nebenklägern, die im Rechtssinne nie Geschädigte waren, trotzdem aber als Opfer plus Anwalt vor Gericht auftreten.“

Und bereits am 22.1. behaupten Sie in dem Artikel „Was ich sah, war fürchterlich“: „Doch wenn in einem Strafverfahren, in dem den Opfern ohnehin ungewöhnlich viel Raum gegeben wird, auch Personen präsentiert werden, die im Vergleich zu anderen kaum „Opfer“ zu nennen sind, fällt ein Schatten auf die gesamte Nebenklage.“

Ihre Schlussfolgerung, dass die Institution der Nebenklage in Verruf gerät hat, unseres Erachtens nach, hier eher mit der Geltungssucht und Profitgier von einigen AnwältInnen / Kanzleien zu tun, als mit der zu weiten Ausdehnung der gesetzlich verankerten Berechtigung zur Nebenklage. Wir sind froh, dass Sie keinen Einfluss auf die Definition der gesetzlich verankerten Berechtigung zur Nebenklage haben. Denn wir müssten uns sonst darauf einstellen, dass nur körperlich sichtbar geschädigte Opfer zur Nebenklage zugelassen würden. Und das wäre, unserer Ansicht nach, fatal für unser Rechtssystem.

Vielleicht sollten Sie sich mehr darum bemühen, in Ihren Kommentaren der Frage zu folgen, warum eigentlich die Bundesanwaltschaft kein Interesse daran zu haben scheint, das die Hintergründe der Taten des NSU aufgeklärt werden oder welche Rolle die Ermittlungsbehörden in diesem Fall gespielt haben, als traumatisierten Opfer das Recht auf Klage abzusprechen.

Und vielleicht sollten Sie sich selbst auch fragen, warum Sie genau in dem Moment, indem sich die Betroffenen des Kölner Nagelbomben-Anschlages zum ersten Mal öffentlich vor Gericht äußern – und zwar nicht in der Opferrolle, sondern als selbstbewusste (Neben-)KlägerInnen, die ihr Recht auf Gehör einfordern – genau diesen Menschen das Recht absprechen, das zu tun.

Die Bundesanwaltschaft sowie die Verfassungsschutzbehörden verschanzen sich immer noch dahinter, dass mit dem Tod von Böhnhardt und Mundlos die terroristische Vereinigung NSU aufgehört habe zu existieren, wie es in der Anklage heißt. Mittlerweile pfeifen es die Spatzen vom Dach, dass diese These nicht aufrechterhalten werden kann. Aufklärung muss deshalb im Gerichtssaal passieren. Dafür setzen sich die NebenklägerInnen und viele ihrer AnwältInnen ein. Diese werden – wie wir – den Verdacht nicht los, dass viele Taten des NSU hätten verhindert werden können, wenn die staatlichen Behörden ihre Pflicht getan hätten.

Wenn Sie noch Fragen zum Fall Keupstraße haben, können Sie sich jederzeit an uns wenden.

Mit freundlichen Grüßen

Initiative „Keupstraße ist überall“, 04.02.2015