Handlungsempfehlungen des PUA-NSU NRW

Nach fast 2 Jahren für alle Interessierte: die Handlungsempfehlungen PUA NSU NRW

Datum des Originals: 27.03.2017/Ausgegeben: 31.03.2017

LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN – 16. Wahlperiode Drucksache 16/14400

 

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Dritter Teil: Handlungsempfehlungen

Die von allen Ausschussmitgliedern gemeinsam getragenen kritischen Würdigungen sind in allen Abschnitten des Schlussberichtes jeweils direkt an die getroffenen Feststellungen angeschlossen worden.

Zu dieser in der Gliederung von den Schlussberichten anderer Untersuchungsausschüsse abweichenden Darstellung der gemeinsamen Bewertungen hat der Ausschuss sich aus Gründen der besseren Lesbarkeit und des besseren Verständnisses entschlossen.

Nach seiner Auffassung kann eine in direkter Beziehung zum behandelten Kapitel stehende positive wie negative Kritik nachhaltiger reflektiert werden als eine vom Anlass für den jeweiligen Kritikpunkt losgelöste zusammenfassende Würdigung.

Die Ausschussmitglieder haben sich aufgrund der Feststellungen und kritischen Würdigungen auf die nachfolgenden Handlungsempfehlungen verständigt:

Sicherheits- und Ermittlungsbehörden

  1. Der Informationsaustausch zwischen den Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern aller Polizeidienststellen eines Bezirks und dem Staatsschutz der zuständigen Kriminalhauptstelle in Fällen von Gewalttaten, die wegen der Person des Opfers oder aus anderen Gründen einen politisch motivierten Hintergrund haben könnten, ist von Beginn der Ermittlungen an sicherzustellen. Es ist notwendig, dass der Staatsschutz in die Ermittlungen eingebunden wird. Dazu bedarf es einer entsprechenden polizeiinternen Anweisung.
  2. Es muss bei der Polizei und dem Verfassungsschutz eine Handlungsanweisung geben, dass fremdsprachige Vermerke grundsätzlich übersetzt werden.
  3. Die Fallbearbeitungsprogramme aller Bundesländer müssen bundesweit vereinheitlicht werden. In den „Polizeilichen Informations- und Analyseverbund“ (PIAV), der im Jahr 2016 seinen Wirkbetrieb aufgenommen hat, ist die PMK mit zeitlicher Priorität zu integrieren.
  4. Das Land NRW soll sich in der Innenministerkonferenz für die Möglichkeit einer zentralen Ermittlungsführung durch eine Landespolizeibehörde mit Weisungsrecht gegenüber den bei anderen Behörden gebildeten regionalen Ermittlungsabschnitten einsetzen und den Abschluss eines entsprechenden Staatsvertrages unter den Ländern initiieren.
  5. Bei den 16 Polizeipräsidien mit Kriminalhauptstellenfunktion sollen Organisationseinheiten eingerichtet werden, die sich bei komplexen Ermittlungsverfahren der kontinuierlichen und kritischen Evaluation der einzelnen Ermittlungsschritte und Auswertungsergebnisse widmen, um rechtzeitig falsche Schwerpunktsetzungen oder unterlassene Ermittlungsansätze zu identifizieren und ihnen entgegenzuwirken.
  6. Der bereits begonnene Austausch zwischen den Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus und den Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt mit dem LKA soll fortgeführt und auf die 16 Polizeipräsidien mit Kriminalhauptstellenfunktion in ihrem Zuständigkeitsgebiet in einem verbindlichen Rahmen ausgeweitet werden. Damit soll der Informationsaustausch zwischen Zivilgesellschaft und Polizei gestärkt werden.

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  1. Asservate zu ungeklärten Verbrechen dürfen nicht vor Ablauf der jeweiligen gesetzlichen Verjährungsfrist bzw. vor Ablauf der längsten gesetzlichen Verjährungsfrist amtlich vernichtet werden.
  1. Bei der Übersendung der Akten von der Polizei an die Staatsanwaltschaft sind Vollständigkeitserklärungen durch die Polizei zu unterzeichnen.
  1. Soweit der Einsatz verdeckter Ermittler der Zustimmung des Gerichts bedarf (§ 110b Absatz 2 StPO), ist das Gericht umfassend über den Stand der Ermittlungen zu unterrichten, da der Einsatz verdeckter Ermittler nur dann zulässig ist, wenn die Aufklärung auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.
  2. Notwendig ist die Überprüfung der Kriterien für den Einsatz von Vertrauenspersonen durch die Polizei.
  1. Eine beim LKA einzurichtende Revisionsgruppe (Innenrevision) soll in Absprache mit der Staatsanwaltschaft Altfälle und deren Handhabung durch die Polizei untersuchen und so-mit überprüfen, ob allen möglichen Ermittlungsansätzen nachgegangen worden ist.
  1. Die Informationsweitergabe von Verfassungsschutz an die Polizei zur Verhinderung oder Aufklärung von Straftaten unter Berücksichtigung des Trennungsgebotes muss weiter verbessert werden. Alle auf Tatsachen beruhenden Informationen über geplante oder begangene Straftaten – insbesondere Gewaltdelikte, Waffenhandel und -besitz und auf Bildung von kriminellen / terroristischen Vereinigungen – muss der Verfassungsschutz umgehend und nachvollziehbar dokumentiert an Polizei und Staatsanwaltschaft weitergeben.
  1. Um die Weitergabe von Informationen des Verfassungsschutzes an die Polizei zu gewährleisten, muss der Einstufung von Informationen als VS-NfD, VS-Vertraulich bzw. VS-Geheim durch den Verfassungsschutz eine sachgerechte Prüfung vorangehen. Insbesondere öffentlich zugängliche Informationen bedürfen keiner Einstufung.
  1. Da Gewaltdelikte mit rechtsextremistischem Hintergrund in der Regel in dem für das Delikt zuständigen Kommissariat einer Polizeibehörde und nicht in der Staatsschutzabteilung bearbeitet werden, ist eine Sensibilisierung der Polizei, insbesondere der Kriminalbeamtinnen und Kriminalbeamten, auf das Erkennen rassistischer und rechtsextremistischer Motive durch eine veränderte Ausbildung und eine verpflichtende Fortbildung erforderlich. In diesem Rahmen müssen ihnen auch Kenntnisse über die Arbeitsweise und die Aufgaben des Verfassungsschutzes übermittelt werden.
  1. Ein verpflichtender regelmäßig stattfindender Erfahrungsaustausch (Lagebesprechungen) mit dem örtlich zuständigen polizeilichen Staatsschutz soll den für politische Strafsachen zuständigen Dezernentinnen und Dezernenten der Staatsanwaltschaften die erforderliche Kenntnis über die örtliche rechtsextremistische Szene vermitteln.
  1. Durch eine Intensivierung der Aus- und Fortbildung von Richterinnen und Richtern und Staatsanwältinnen und Staatsanwälten im Bereich „Rechtsextremismus“ ist sicherzustellen, dass Delikte mit einem rassistischen oder anderweitig menschenfeindlichen Hintergrund auch als solche erkannt werden.
  1. Im Bereich des Verfassungsschutzes sowie des Polizeilichen Staatsschutzes muss durch regelmäßige verpflichtende Aus- und Fortbildung sowie Supervision der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sichergestellt sein, dass ausreichende Kenntnisse über Organisation,Handlungsformen und Ideologien der rechtsextremen Szene vorhanden sind, so dass ins-besondere Gewaltdelikte mit einem rassistischen oder anderweitig menschenfeindlichen Hintergrund auch als solche erkannt werden können.

S 755

  1. Die Opferschützerinnen und Opferschützer (Betreuung von Opfern) bei der Polizei müssen regelmäßige Fort- und Weiterbildungsangebote erhalten und wahrnehmen.
  1. Wenn die Polizei Kontakt zu Opfern mutmaßlich rechtsextremer oder rassistischer Gewalt hat, muss sie diese auf die spezialisierten Beratungsstellen hinweisen. Die betroffenen Personen müssen gefragt werden, ob sie mit der Weitergabe ihrer Daten an die Beratungsstelle einverstanden sind. Falls ja, werden die Daten direkt von der Polizei zur weiteren Kontaktaufnahme an die Beratungsstelle weitergeleitet. Dazu bedarf es einer entsprechen-den polizeiinternen Anweisung.
  1. Der Verfassungsschutz, die Polizei und die Justiz sollen die gesellschaftliche Vielfalt widerspiegeln. Deshalb sollen die Behörden verstärkt Personen mit Migrationshintergrund anwerben und einstellen.
  1. Die Fähigkeit mit Menschen mit und ohne Migrationshintergrund angemessen, erfolgreich und zur gegenseitigen Zufriedenheit kommunizieren und agieren zu können, muss eine Schlüsselkompetenz bei den Beschäftigten beim Verfassungsschutz, bei der Polizei und im Bereich der Justiz sein. Dazu gehört die Fähigkeit, diskriminierende und ausgrenzende Mechanismen zu erkennen und zu überwinden. Darauf muss in der Aus- und Fortbildung verstärkt hingearbeitet werden.
  1. Durch eine Aufwertung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) könnte die Kontrolle der Arbeit des Verfassungsschutzes verbessert werden. Die für den PUA NSU neu geschaffenen Landtagsressourcen sollten dabei für das PKG genutzt werden. Zur Stärkung der Kontrolle des Verfassungsschutzes soll das PKG die Möglichkeit bekommen, mit einer breiten Mehrheit (z.B. von Zweidritteln seiner Mitglieder) mindestens eine ständige Sachverständige / einen ständigen Sachverständigen (Referentin / Referenten) bei der Wahrnehmung seiner Kontrollaufgaben beauftragen zu können.

Opferschutz und Prävention

  1. Generell muss Opfern noch mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht und ihre Situation bei der polizeilichen Arbeit besser berücksichtigt werden. Die Anzahl der Opferschützerinnen und Opferschützer muss erhöht werden.
  1. Für die Kommunikation mit Opfern und deren Angehörigen muss Personal eingesetzt wer-den, welches für den persönlichen und kulturellen Hintergrund dieser Personen sensibilisiert ist und diesen angemessen berücksichtigt.
  1. Es muss gewährleistet sein, dass Opfer bzw. Hinterbliebene schwerster Straftaten, auch in Fällen, in denen eine Täterin oder ein Täter nicht ermittelt wurde, spätestens nach Abschluss der Ermittlungen von deren Ergebnis unterrichtet werden. Diese Unterrichtung muss aktenkundig gemacht werden.
  1. Die landesweite Beratungsstruktur gegen Rechtsextremismus und Rassismus ist dauerhaft zu verstetigen. Dazu gehören u.a. die Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus, die spezialisierten Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer und rassistischer

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  1. Das bereits vorhandene integrierte Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus muss zügig umgesetzt sowie kontinuierlich weiterentwickelt und an aktuelle Herausforderungen angepasst werden. Darüber hinaus soll ein Landesförderprogramm zur Förderung von Projekten gegen Rechtsextremismus und Rassismus aufgelegt werden.
  1. Die wissenschaftliche Forschung zu den unterschiedlichen Formen und Ideologien des Rechtsextremismus und des Rassismus muss angemessen unterstützt werden. Sie kann einen erheblichen Beitrag zur Dokumentation und Analyse, aber auch zur Entwicklung von Gegenstrategien sowie Präventions- und Interventionsmaßnahmen leisten.
  1. Die Angebote der interkulturellen, psychiatrischen Ambulanzen müssen bedarfsdeckend sichergestellt sein, zudem sollte eine Spezialisierung auf rassistische Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen geprüft werden.